Beobachter schildern Eindrücke im Prozess gegen mutmaßliche DHKP-C-Mitglieder
Von Peter Nowak
Seit über einem Jahr läuft vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim ein Strafverfahren nach dem neuen Paragraphen 129b gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der verbotenen türkischen Untergrundorganisation DHKP-C. Beobachter eines Prozesstages schilderten in Stuttgart ihre Beobachtungen
Ahmet Düzgün Yüksel, Ilhan Demirtas, Devrim Güler, Hasan Subasi und Mustafa Atalay. Diese fünf Männer stehen vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen nach Paragraph 129b vor, als Teil der sogenannten »Rückfront« die militante Politik der marxistisch-leninistisch orientierten DHKP-C unterstützt zu haben. Die DHKP-C wird von der EU wie auch von den USA auf der Liste terroristischer Organisationen geführt. Nach dem Paragraph 129b, der nach den Attentaten vom 11. September 2001 eingeführt wurde, macht sich in Deutschland strafbar, wer Mitglied einer terroristischen Vereinigung im Ausland ist oder eine solche unterstützt.
Vieles an dem Prozess ist kritisch (ND berichtete): Nicht unwesentlich etwa basiert die Anklage auf Prozessunterlagen aus der Türkei. Der Verteidigung liegen Hinweise darauf vor, dass Aussagen darin unter Anwendung von Folter entstanden. Zwar dürften die Dokumente in einem solchen Fall nicht im Prozess verwandt werden, die Bundesanwaltschaft will von der Verteidigung jedoch Beweise für die konkreten Verdachtsfälle, bevor sie handelt. Der Prozess verläuft weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, die Gefangenen befinden sich unter isolierenden Bedingungen in Untersuchungshaft.
Am Dienstag haben etwa 30 Personen aus Deutschland, Belgien und der Schweiz auf Initiative der Plattform »Freiheit für Mustafa Atalay« einen Prozesstag beobachtet. Am Mittwoch berichteten mehrere Delegationsteilnehmer im Stuttgarter DGB-Haus über die Gründe für ihr Engagement.
Bettina Seifert von der Plattform verwies dabei auf mehrere ärztliche Atteste und Stellungnahmen, die bei Atalay neben einer schweren Herzkrankheit auch eine massive posttraumatische Störung diagnostizierten, die durch seine lange Haft in der Türkei und die dort erlittene Folter entstanden seien.
Der Züricher Psychiater Ralf Binswanger, der an der Delegation teilnahm, verwies darauf, dass eine posttraumatische Störung unter Haftbedingungen kaum zu behandeln ist. Für eine erfolgreiche Therapie sei Atalays Entlassung aus dem Gefängnis notwendig. Der Gefangenenbeauftragte des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Christian Herrgesell, schloss sich er Forderung an. Obwohl er vor mehr als einem Monat einen Besuchsantrag für Atalay stellte, habe er bis heute keinen Termin bekommen. Das sei auch ein Zeichen dafür, wie schwer es ist, mit den Angeklagten Kontakt aufzunehmen. Hergesell verwies darauf, dass das Komitee für Grundrechte die Abschaffung der Paragraphen 129a und b fordere. Die Praxis habe gezeigt, dass damit auch legale Tätigkeiten in die Nähe des Terrorismus gerückt würden.
In diese Richtung argumentierte auch der Schriftsteller und Jurist Peter O.Chotjewitz. Er könne nicht beurteilen, ob die DHKP-C in der Türkei für die ihr zur Last gelegten Bombenanschläge verantwortlich sei und rechtfertige solche Aktionen nicht, so Chotjewitz. Doch Mustafa Atalay und den anderen Angeklagten würden auch völlig legale Tätigkeiten wie die Übersetzung von Texten, das Organisieren von Festen oder die Verteilung von Flugschriften vorgeworfen. Erst durch den Paragraphen 129b würden diese Aktivitäten zur Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erklärt. Chotjewitz erinnerte daran, dass auch in den 1970er Jahren nicht nur RAF-Mitglieder für Anschläge verurteilt, sondern auch kritische Linke und Intellektuelle wie Heinrich Böll als Sympathisanten des Terrorismus diffamiert worden seien.
Carsten Ondreka von der Plattform kritisierte den enormen Sicherheitsaufwand auch bei den Prozessbesuchern. Sie müssten sämtliche Taschen ausleeren, ihre Pässe würden kopiert und nicht einmal ein Kugelschreiber oder ein Blatt Papier dürften in den Gerichtssaal mitgenommen werden. Da müsse man doch den Eindruck haben, jeder Besucher sei auch ein potentieller Beschuldigter, so Ondreka. Die Plattform für die Freilassung für Mustafa Atalay plant weitere Prozessbeobachtungen. »Eine kritische Öffentlichkeit ist dringend nötig, so Plattform-Sprecherin Seiffert.
von Peter Nowak, Neues Deutschland, 10.07.2009